Der zeitgeschichtliche Roman „Kinder des Aufbruchs“ führt uns in die späten 60er-Jahre. Die Journalistin Alice berichtet über die Demonstrationen der Studentenbewegung und schließt sich einer Fluchthilfe-Organisation an. Ihre Zwillingsschwester Emma ist Dolmetscherin und bewegt sich auf der politischen Bühne in Berlin und Bonn. Der Roman ist die Fortsetzung von „Kinder ihrer Zeit“.
Handlung
West-Berlin im Sommer 1967. Sechs Jahre sind seit dem Mauerbau vergangen. Die Demonstrationen gegen den Schah und den Springer Verlag eskalieren. Und Alice, die mit den Studenten sympathisiert, berichtet als Journalistin über die Unruhen. Durch die Begegnung mit einem Bekannten aus ihrer DDR-Zeit wird Alice von ihrer Vergangenheit eingeholt. Sie knüpft Kontakte zu einer Fluchthilfe-Organisation und engagiert sich aktiv bei der Fluchthilfe. Ihre Zwillingsschwester Emma bewegt sich als Dolmetscherin in den höchsten Regierungskreisen in Bonn und Berlin. Die beiden Schwestern und ihre Ehemänner geraten zwischen die Fronten der Geheimdienste, als sich eine frühere Freundin und KGB-Informantin bei ihnen meldet.
Über die „Kinder des Aufbruchs“
Ende der 60er-Jahre war eine unglaublich aufregende Zeit. Es war die Zeit des Aufbruchs und der Veränderung. Die Studenten kämpften gegen autoritäre Hierarchien und überholte Moralvorstellungen der Elterngeneration.
Im Mittelpunkt stehen wieder die beiden Zwillingsschwestern Emma und Alice und ihre Ehemänner. Die Zwillinge wurden als Kinder durch den Krieg getrennt. Emma, die in West-Berlin aufwuchs und Alice in Ost-Berlin, trafen sich zufällig kurz vor dem Mauerbau wieder. Emma ist Dolmetscherin für Politik und Wissenschaft, ihr Mann Julius Laakmann ist Dozent für Physik an der Technischen Universität Berlin. Alice hat studiert und arbeitet als Journalistin. Sie hegt große Sympathien für die Demonstranten. Ihr Mann Max, ein Jugendfreund von Emma, arbeitet als Anwalt und setzt sich besonders für Juden ein, die Wiedergutmachung fordern.
Alice hat es als berufstätige Frau und Mutter nicht einfach. Sie entspricht nicht dem Rollenverständnis dieser Zeit. In den 50er und 60er-Jahren hatte eine deutsche Mutter zu Hause zu sein und sich um die Kinder zu kümmern. Ihre Tochter Lisa ist ein „Schlüsselkind“ und leidet darunter, weil sie anders ist als andere Kinder.
Meine Meinung
Aus der heutigen Sicht sehen viele Ereignisse ganz anders aus. Es ist erschreckend, was alles nach der Wiedervereinigung ans Licht gekommen ist. Die Autorin Claire Winter erteilt uns einen lebendigen Geschichtsunterricht. Sie verknüpft die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ereignisse zu einem großartigen und spannenden Roman. Sie verbindet geschickt die bis ins Detail recherchierten historischen Fakten mit einer fiktiven Handlung. Es gelingt ihr, die Aufbruchsstimmung der späten 60er-Jahre perfekt einzufangen. Die Charaktere haben sich stimmig weiterentwickelt und sind liebevoll ausgearbeitet. Die Handlung wird chronologisch in verschiedenen Handlungssträngen und aus verschiedenen Perspektiven geschildert. Anhand der Kapitelüberschriften weiß der Leser sofort, aus wessen Sicht gerade erzählt wird.
Fazit
“Kinder des Aufbruchs” ist ein großartiger Roman, der die deutsche Zeitgeschichte anhand der Schicksale der Zwillingsschwestern Emma und Alice eindringlich und mitreißend erzählt. Dieser Roman zählt zu meinen Highlights des Jahres 2022.
Fakten und Fiktion
Die Handlung und die Protagonisten sind frei erfunden. Die politischen Ereignisse und ihre führenden Köpfe sind historisch belegt. Trotz Mauerbau gelang DDR-Bürgern unter riskanten und abenteuerlichen Bedingungen die Flucht. Die unterirdischen Tunnel zwischen West- und Ost-Berlin gibt es wirklich. An die Studentenbewegung und die Demonstrationen gegen den Schah kann ich mich selbst erinnern. Die genauen Umstände des Todes von Benno Ohnesorg sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Dass Berlin die Spionage Hochburg während des Kalten Krieges war, ist allgemein bekannt.
Es lohnt sich, die beiden Bücher chronologisch nacheinander zu lesen.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Diana Verlag für die Rezension zur Verfügung gestellt. Meine Meinung wird dadurch nicht beeinflusst.
Über Claire Winter
Claire Winter studierte Literaturwissenschaften und arbeitete einige Jahre als Journalistin, bevor sie entschied, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie liebt es, in fremde Welten einzutauchen, verliert dabei aber nie die gründliche Recherche aus den Augen. Gerade die deutsche Nachkriegsgeschichte interessiert sie sehr. Die Autorin macht daraus einen spannenden und gleichzeitig sachkundigen Romanstoff mit mutigen und interessanten Charakteren. (amazon)
Informationen zum Buch:
Titel: Kinder des Aufbruchs
Autor: Claire Winter
Genre: Roman
Print-Ausgabe: 560 Seiten
Ausgaben: E-Book, gebundenes Buch
Verlag: Diana Verlag (2. November 2022)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453292669
ISBN-13: 978-3453292666
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